Nicht in jedem Fall reicht eine ärztliche Krankschreibung aus, wenn es berechtigte Zweifel gibt, dass eine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit tatsächlich vorgelegen hat.
(verpd) Eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung allein reicht nicht aus, um das Bestehen einer Krankheit darzulegen, wenn der Beweiswert der Bescheinigung erschüttert ist. Wenn er erschüttert ist, müssen die tatsächlichen Umstände, die für das Vorliegen einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit sprechen, weiter ausgeführt werden. Zu diesem Schluss kommt das Landesarbeitsgericht Niedersachsen in einem aktuellen Urteil.
Die Frau war seit Dezember 2007 Sekretärin in einer Grundschule. In einem Personalgespräch im September 2022 teilten ihr die Schulleiterin und der Fachdienstleiter der beklagten Gemeinde mit, dass ihr zu Beginn der Sommerferien am 6. Juli 2023 und an den folgenden Tagen kein Urlaub gewährt werden könne.
Die Frau bestand in der Folgezeit darauf, am 6. Juli Urlaub zu bekommen, dies wurde aber abgelehnt. Am 5. Juli rief sie die Schulleiterin an: Es gehe ihr nicht gut, sie habe eine Magen-Darm-Grippe. Für den 5. bis 7. Juli legte sie eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vor.
Teilnahme an Trainer-Lizenz-Lehrgang
Am 6. Juli nahm die Sekretärin an einem Trainer-Lizenz-Lehrgang an einer Turnschule teil. Ihr Arbeitgeber hegte daraufhin den Verdacht, dass die Arbeitsunfähigkeit vorgetäuscht gewesen war.
Die Sekretärin erklärte gegenüber dem Arbeitgeber, sie habe wegen starker Bauchschmerzen, Übelkeit, Schluckweh und Kopfweh ihren Arzt aufgesucht, der sie schließlich krankschrieb. Die Medikamente hätten eine umgehende Besserung bewirkt. Die Symptome waren ihrer Annahme nach teils psychosomatischer Art. Da sie sich am 6. Juli wieder gut gefühlt habe, sei sie zur Schulung gefahren.
Arbeitsgericht Osnabrück entscheidet gegen Klägerin
Für die Gemeinde war dies Anlass, das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos zu kündigen. Dagegen erhob die Sekretärin Klage. Sie habe sich trotz Erkrankung fit für die Fortbildung gefühlt. Sie führte auch an, sie befinde sich in Psychotherapie. Bei einer solchen Erkrankung sei es nicht unbedingt erforderlich und für den Patienten nicht gut, sich zu Hause zu vergraben.
Die Gemeinde hielt die Sekretärin hingegen nicht für arbeitsunfähig erkrankt. Es gebe ausreichende Anhaltspunkte für den Verdacht einer vorgetäuschten Arbeitsunfähigkeit. Das Arbeitsgericht Osnabrück sah das auch so. Die Klägerin habe keine Umstände aufgezeigt, die für ein anderes Geschehen sprächen.
Die Betroffene habe nur pauschal auf die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung verwiesen. Sie habe aber nicht substantiiert dargelegt, welche Krankheiten und gesundheitlichen Einschränkungen vorgelegen hätten, welches Verhalten der Arzt verordnet habe und welche Medikamente bewirkt hätten, dass sie am Lehrgang teilnehmen, aber nicht habe arbeiten können.
Weiter zum Landesarbeitsgericht
Die Gekündigte legte beim Landesarbeitsgericht (LAG) Niedersachsen Berufung gegen das Urteil ein, wo sie abermals auf die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung verwies. Eine Arbeitsunfähigkeit wegen psychischer Erkrankung schließe es auch nicht aus, im Rahmen der Freizeitgestaltung an einem Lehrgang teilzunehmen. Doch selbst wenn die Arbeitsunfähigkeit in Zweifel zu ziehen wäre, sei dies keine Rechtfertigung für eine fristlose Kündigung.
Das Landesarbeitsgericht Niedersachsen wies ihre Berufung in seinem Urteil 15 SLa 127/24 als unbegründet zurück. Für die Kündigung liege ein wichtiger Grund gemäß § 626 Absatz 1 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch) vor.
Die Klägerin sei im fraglichen Zeitraum nicht arbeitsunfähig erkrankt gewesen. Der sie treffenden Darlegungslast sei sie nicht ausreichend nachgekommen. Dies, befand das LAG, ergebe sich aus den Grundsätzen der „abgestuften Darlegungslast“.
Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttert
Den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erachtete das LAG als erschüttert. Zweifel ergäben sich zunächst daraus, dass diese für einen Zeitraum ausgestellt wurde, für den die Klägerin zuvor Urlaub wollte. Dieses zeitliche Zusammentreffen möge zwar ein Zufall sein. Es begründe aber Zweifel an der Richtigkeit der Bescheinigung.
Verstärkt würden diese dadurch, dass die Sekretärin am Lehrgang teilgenommen hatte. Das bedeute zwar nicht notwendigerweise, dass sie nicht arbeitsunfähig gewesen war. Sie habe sich hierzu aber nicht hinreichend erklärt. Hinzu komme, dass davon ausgegangen werden müsse, dass sie von Anfang an beabsichtigt hatte, trotz Arbeitsverpflichtung am Lehrgang teilzunehmen.
Schwerwiegende Pflichtverletzung
Die außerordentliche Kündigung sei auch ohne vorherige Abmahnung gerechtfertigt gewesen. Eine Abmahnung sei nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (nur) entbehrlich,
- wenn schon im Vorhinein erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung in Zukunft auch nach einer Abmahnung nicht zu erwarten ist, oder
- wenn die Pflichtverletzung so schwer ist, dass selbst die erstmalige Hinnahme für den Arbeitgeber unzumutbar und damit offensichtlich ausgeschlossen ist.
Das Vortäuschen einer Arbeitsunfähigkeit sei eine schwerwiegende Pflichtverletzung. Das LAG sah im Verhalten der Klägerin einen erheblichen Vertrauensverstoß, weil ihr bereits zu Beginn des Schuljahres mitgeteilt worden war, dass für den 6. Juli kein Urlaub gewährt werden könne.